Kinderbücher für Erwachsene? Aber sicher!

Heute freue ich mich sehr über einen Gastbeitrag von Daniela Dreuth aus meinem Netzwerk Texttreff. Sie wurde mir Ende letzten Jahres beim traditionellen „Blogwichteln“ zugelost und hat sich Gedanken darüber gemacht, welche Kinderbücher auch uns Erwachsenen noch etwas zu sagen haben. Daniela bespricht auf ihrem Blog Kinderohren übrigens regelmäßig Kinderbücher. Vielen Dank für diese schönen Tipps!

Seit dem großen Erfolg von Harry-Potter sind sie in aller Munde: die sogenannten All-Age-Bücher, die vom 12-jährigen Kind bis zum gestandenen Erwachsenen eine große Schar oftmals begeisterter Leser finden. Beispielhaft seien hier nur die Tintenherz-Trilogie von Cornelia Funke, die Buch-der-Träume-Trilogie von Kerstin Gier oder Saeculum von Ursula Poznanski genannt. Gab es bei Harry Potter anfangs noch spezielle Ausgaben für die erwachsenen Leser, damit diese sich nicht schämen mussten, wenn sie anhand der bunten Cover als Kinderbuch-Leser „ertappt“ wurden, ist das mittlerweile ganz normal geworden.

Dennoch gibt es auch weiterhin Bücher, die wirklich für Kinder geschrieben wurden und dennoch auch für erwachsene Leser interessant sein können. Was können Kinderbücher einem erwachsenen Leser bringen?

Viele Kinderbücher halten uns Erwachsenen einen Spiegel vor. Das schönste Beispiel dafür ist „Momo“ von Michael Ende. In der dort beschriebenen Welt wird das Leben der Menschen immer hektischer und freudloser, weil diese versuchen, Zeit zu sparen, um diese in einer Zeitsparkasse auf ein Konto einzuzahlen. Für später irgendwann. Tatsächlich erhält die Zeit die grauen Männer am Leben, die Menschen werden sie niemals zurückerhalten. Wir haben keine Zeitsparkasse, aber dennoch sind viele Erwachsenen kaum mehr in der Lage, den Augenblick zu nutzen und sich einfach in einer Sache zu verlieren, ohne dabei auf die Uhr zu schauen. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Buches ist, was Momo mit ihrer Fähigkeit, anderen zuzuhören, alles erreicht. Leider reden viele Menschen viel zu oft aneinander vorbei, weil keiner richtig hinhört. Ich finde, die Lektüre dieses Buches hat eine erdende Wirkung. Man erinnert sich wieder, wenigstens für einen Moment, was wirklich wichtig ist.

Manche Bücher verbreiten zeit- und alterslose Philosophien, die man in jedem Alter anders versteht. Am bekanntesten und beliebtesten ist in dieser Kategorie der Klassiker „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry. Empfohlen ab 8 Jahren, werden Kinder den tieferen Sinn oft noch nicht verstehen. Der erwachsene Leser wird dagegen viele Feinheiten bemerken, die dem Kind nicht auffallen, und seine ganz eigenen Schlüsse ziehen. Dass die Sprache sehr einfach gehalten ist, ändert nichts an den grundlegenden Wahrheiten, die vermittelt werden. Ein kleines Buch mit großem Inhalt, der auch nach 70 Jahren nichts von seinem Zauber verloren hat.

Cover_Wasistwas_UnsereErdeEine wunderbare Möglichkeit, einen Einstieg in ein neues Thema zu finden, können Sachbücher für Kinder sein. Nicht ohne Grund existiert die Reihe „Was ist was“ bereits seit mehr als 50 Jahren. Die Bücher sind bunter und moderner geworden, der Text wurde (leider, wie ich finde) gekürzt, sie sind aber immer noch eine hervorragende Informationsquelle. Wissen, das für Kinder aufbereitet wurde, wandert auch schnell in das Hirn des Erwachsenen, der einen Überblick oder erste Informationen zu einem Thema sucht. Natürlich gibt es noch viele weitere wundervolle Sachbücher zu bestimmten Themen oder Sachgebieten.

 

 

 

 

Cover_Dubois_AkimrenntNicht Neues unter der Sonne? Es scheint erstaunlich, dass dies alles Bücher sind, die auch viele von uns Erwachsenen schon in ihrer Kindheit oder Jugend gelesen haben. Nicht ohne Grund sind sie zu Klassikern geworden. Aber auch zahlreiche aktuelle Bücher können uns etwas sagen. Am meisten berührt hat mich im vergangenen Jahr das mehrfach preisgekrönte Bilderbuch „Akim rennt“ von Claude K. Dubois. Ganz in Sepia gehalten, mit wenig Text und sehr eindrücklichen Bildern, zeigt es die Geschichte der Flucht eines kleinen Jungen, dessen friedliches Dorf vom Krieg eingeholt wird. Eindrücklicher, als es viele bunte Fernsehbilder vermögen, zeigt es Schrecken, Angst und Not des kleinen Jungen bis zum glücklichen Wiederfinden der Mutter in einem Flüchtlingslager. Ein Buch, das bei mir jedes Mal eine Gänsehaut auslöst, wenn ich darin blättere.

 

Ebenfalls mit eineCover_Boyne_DerJungeimgestreiftenPyjamam schwierigen Thema befasst sich „Der Junge im gestreiften Pyjama“ von John Boyne. Es handelt von dem neunjährigen Bruno, dessen Vater nach Ausschwitz versetzt wird. Bruno wundert sich über den endlosen Stacheldraht und die Menschen in gestreiften Pyjamas, die dort Leben. Auf seine Fragen erhält er keine befriedigenden Antworten, vieles versteht er schlicht falsch. Dann lernt er einen Jungen kennen, der hinter dem Zaun lebt, und trifft sich regelmäßig heimlich mit ihm. Seine Naivität erschüttert und berührt den wissenden Leser, ebenso das tragische Ende. Die kindliche, unbeeinflusste Sicht auf den Holocaust erlaubt uns, die wir schon so viel darüber gelesen, so viele Filme und Dokumentationen gesehen haben, doch noch eine ganz neue Sicht – eine, die sehr nahegeht.

Mir persönlich macht es einfach Spaß, Kinderbücher zu lesen, auch solche ohne tiefere Aussage für Erwachsene. Lustige Bücher, traurige Bücher, lehrreiche Bücher, Bücher die die ersten Schritte zum Lesen überwinden helfen, Bücher mit viel Sprachwitz oder wunderschönen Illustrationen. Es lohnt sich sehr, sich auch einmal bei den Kinderbüchern umzuschauen.

 

Buchdetails der erwähnten Bücher:

  • Michael Ende: Momo. Thienemann. Verschiedene Ausgaben, z. B. Jubiläums-Ausgabe, 288 Seiten, Euro 19,99, ISBN 978-3522201872, empfohlen ab 12 Jahren.
  • Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz. Aus dem Französischen von Grete und Josef Leitgeb. Karl Rauch Verlag. Verschiedene Ausgaben, z. B. Taschenbuch, 96 Seiten, Euro 5,90, ISBN 978-3792000496, empfohlen ab 8 Jahren.
  • Was ist was, zahlreiche Titel, z. B. Unsere Erde, Band 001, Tessloff Neuauflage 2013, 48 Seiten, Euro 9,95, ISBN 978-3788620356, empfohlen ab 8 Jahren.
  • Claude Dubois: Akim rennt. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Moritz 2014. 96 Seiten, Euro 12,95, ISBN 978-3895652684, empfohlen ab 6 Jahren.
  • John Boyne: Der Junge im gestreiften Pyjama. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Fischer KJB. 272 Seiten, Euro 7,95, ISBN 978-3596806836, empfohlen ab 12 Jahren.

2 Kommentare zu „Kinderbücher für Erwachsene? Aber sicher!“

  1. Das ist wirklich ein interessantes Thema! Übrigens finde ich Sachbücher für Kinder auch wirklich für Erwachsene klasse, gerade, wenn es sich um ein Thema handelt, welches einen nicht so sonderlich interessiert über das man aber dennoch gerne mehr wissen möchte.

  2. Guter Kommentar – als Vater muss ich sagen, dass mir das Vorlesen nicht nur wegen meinem Sohn Spaß macht, sondern auch wegen der Bücher.

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