Sein eigenes Ding machen

Heute habe ich für euch das zweite Interview zum Thema Mut, das ich innerhalb meiner Mutmacher-Blogparade geführt habe (das erste mit Elke Fleing findet ihr hier).

Manuela Günther führt zusammen mit ihrem Mann ein Unternehmen namens GüntherKreativ. Das Besondere daran: Er ist Tischler mit den Schwerpunkten Innenausbau und Ladenbau, sie ist Beraterin mit dem Schwerpunkt Büroorganisation. Auf den ersten Blick hat das nicht allzu viel miteinander zu tun.

Ich bin vor einiger Zeit bei Xing über Manuela gestolpert und hatte sie mir gemerkt, denn ich finde solche ungewöhnlichen Geschäftsmodelle ja grundsätzlich spannend. Und dann dachte ich mir, dahinter steckt bestimmt eine interessante Geschichte! Genauso ist es – lest selbst:

Was bedeutet für dich persönlich Mut?

Mut hat viele Gesichter. Zivilcourage ist mutig, ein Unternehmen zu gründen ist mutig. Und Mut bedeutet für mich auch die eigene Persönlichkeit und Authentizität zu leben und in die Umgebung zu kommunizieren. Das kann sich in Kleidung, Sprache, Lebensstil etc. zeigen. Unangenehme Dinge aussprechen z. B. im Freundeskreis, Arbeit, Familie, Schule und damit andere in Frage stellen. Einzugestehen, dass ich fehlbar bin, dass das Leben fehlbar ist.
Dies zu leben, sich zu kennen und „sein eigenes Ding“ in der heutigen Zeit zu fahren, ist meiner Meinung nach mutig. Sich nicht permanent in vorgegebene Rahmen pressen lassen.
Aber auch andere Menschen genauso akzeptieren, wie sie sind. Ich stelle mich nicht über andere Menschen.

Nimmst du dich selbst als mutig wahr?

Noch vor zwei Jahren hätte ich mich nicht als mutige Frau empfunden, dann habe ich die Ausbildung zum individualpsychologischen Coach absolviert und mich in dieser Zeit sehr intensiv mit mir selber beschäftigt. Dabei war ein großes Thema Minderwertigkeitsgefühle und Kompensation. Nach dem Erkennen meiner eigenen Minderwertigkeitsgefühle und deren Kompensation war ich in der Lage, mein Selbstbild ganz anders wahrzunehmen. Und damit habe ich erkannt, ich auch mutig bin. Allein die Auseinandersetzung mit mir selber war mutig.

Heute zeigt sich das ich in der Erziehung unseres Sohnes. Wir haben einen deutlich anderen Weg eingeschlagen als meine direkte Umgebung das tut. Ich erziehe meinen Sohn zur Selbständigkeit, Wertschätzung und Respekt anderen Menschen gegenüber. Ich packe ihn nicht in Watte, er hat auch Verantwortungen in unserer familiären Gemeinschaft. Damit mache ich ihn zu einem aktiven Teil in der Gemeinschaft. Obwohl er für mich, neben meinem Mann, die wichtigste Person ist, achte ich darauf, dass ich ihn nicht zu sehr verhätschel.

Und ich bin ein unbequemer Mensch, denn ich spreche unangenehme Themen direkt an. Z.B. bei einem Kunden, in meiner Zusammenarbeit mit meinem Mann und auch im privaten Umfeld. Ich hinterfrage und riskiere damit auch manchmal, dass Menschen mit mir nichts mehr zu tun haben möchten. Ich hinterfrage andere Menschen genauso wie mich selber. Und ich verlasse eine Situation nicht, ohne vereinbart zu haben, wie wir als nächstes weitermachen.

GüntherKreativ ist ja ein besonderes Geschäftsmodell – war dafür eine mutige Entscheidung notwendig?

Die Entscheidung war sehr mutig, denn wir haben heute beide kein regelmäßiges Einkommen mehr und das ist durchaus auch schwierig. Jeder Monat ist anders und besonders in diesem Jahr hatten wir das erste Mal mit massiven Umsatzeinbrüchen zu kämpfen.

Ich war zuerst selbständig, weil ich mich in meinem Unternehmen mit den Aufgaben nicht mehr wohl gefühlt hatte, habe ich mich entschlossen, auf eigene Rechnung zu arbeiten. Ich hatte das Glück, mit einem festen Kunden starten zu können, damit war die Grundlage gesichert.

Roman hatte bei seiner Firma einen Zeitvertrag, der nicht verlängert werden sollte. So stand an das Arbeitsamt oder der Versuch der Selbständigkeit. Wir entschlossen uns für zweiteres und haben uns damit eine neue Basis geschaffen.

Das Geschäftsmodell ist sicherlich ungewöhnlich. Denn wie passt eine Tischlerei mit dem Unternehmen für Büroorganisation zusammen? Eigentlich gar nicht. Auf der anderen Seite funktioniert es ganz gut. Mein Mann profitiert von meinen Kenntnissen aus dem administrativen Bereich und damit läuft auch die Kundenbetreuung in unserem Betrieb rund. Ich betreue meine Kunden hauptsächlich von zu Hause aus und damit ist das Büro zu 70 % besetzt. Mein Mann kann sich voll auf seine Arbeit und Projekte konzentrieren.

Sinnvoll ist dieses Modell geworden, weil unsere Auslastung ganz unterschiedlich ist. Während ich meine Kunden langfristig begleite in ihren Abläufen, lebt Roman von Einzelprojekten, die nach einigen Wochen abgeschlossen sind. Damit entsteht bei ihm häufiger ein Leerlauf, den es bei mir in der Form nicht gibt. Das ist angenehm, weil damit ein permanenter Grundumsatz gesichert ist.

Was war die mutigste Entscheidung, die du als Unternehmerin bisher getroffen hast? Was daran war für dich die besondere Herausforderung?

Die mutigste Entscheidung war, mich von meinem längsten Kunden zu lösen. Mit ihm habe ich meine Selbständigkeit begonnen und er hat sie überhaupt erst möglich gemacht. Dieser Kunde machte 70 % meines Gesamtumsatzes aus. Seit ca. einem Jahr gestaltete sich die Zusammenarbeit immer schwieriger, Zahlungen liefen in diesem Jahr immer schleppender. Ich habe zum ersten Mal in diesen vier Jahren einen Mahnbescheid eingeleitet. Das fiel mir sehr schwer und ich hätte es eigentlich schon früher machen müssen, aber ich wollte unbedingt an der Zusammenarbeit festhalten und ihm alle Türen offen halten, die es gibt. Das war ein Fehler. Die Situation eskalierte und ich musste letztendlich diese Entscheidung treffen.

Trotzdem habe ich meinem Kunden deutlich gemacht, dass ich weiter mit ihm zusammen arbeiten werde, sobald alles wieder rund läuft. Ich habe versucht ihm klar zu machen, dass er mir als Kunde noch immer wichtig ist. Nach unserem letzten Gespräch hatte ich den Eindruck, dass er auf der einen Seite enttäuscht ist und natürlich auch sauer, auf der anderen Seite aber auch meinen Wink verstanden hat „ich bin da, meine Tür steht offen“.

Wie gesagt, es fiel mir sehr schwer und zum allerersten Mal habe ich eine sehr unangenehme Seite des Unternehmerdaseins kennengelernt. Und eine weitere Schwierigkeit ist natürlich der massive Umsatzeinbruch. Das wieder aufzufangen ist schwierig und derzeit schwer möglich. Da muss ich auch zu Notlösungen greifen.

Und was war der erste Schritt, um deine Entscheidung umzusetzen?

Ich habe mit meinem Kunden gesprochen, persönlich und ihm die nächsten Schritte angekündigt. Ich habe ihn darauf vorbereitet und mit offenen Karten gespielt. Wir haben gemeinsam versucht eine Lösung zu erarbeiten. Als dieser Plan nicht funktionierte, war meinem Kunden mein nächster Schritt bekannt – das gerichtliche Mahnverfahren. Die Formalitäten zum Mahnverfahren waren nicht mehr sehr aufwendig.

Für mich war die Transparenz wichtig, mit der mein Kunde nachvollziehen kann, was als nächstes kommt. Das ist auch für unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit, die es immer gegeben hat, wichtig. Damit habe ich keine Tür zugeschlagen, die wir nicht mehr öffnen können, ich habe sie nur angelehnt. Er kann sie jederzeit öffnen.

Wer hat dir geholfen oder dich unterstützt?

Mein Mann hat während dieser Zeit immer an meiner Seite gestanden. Natürlich hat dieses ganze Procedere auch eine uneingeschränkte Auswirkung auf seine Bewegungsfreiheit, denn alles wird derzeit von seinen Umsätzen abgedeckt.

Er hat mir auch deutlich gemacht, welche Schritte als nächstes zu gehen sind und er macht mir immer Mut, dass auch diese enge Phase ein Ende haben wird.

Hast du Vorbilder?

Ein Vorbild ist ein ehemaliger Kollege von mir, Heiner. Er war einer der geradlinigsten Menschen, die ich kenne. Stets hatte er ein offenes Ohr für seine Kollegen. Er war fachlich überaus kompetent und auch in Krisenzeiten sachlich und ruhig. Er war in der Lage die Menschen in seiner Umgebung durch seine ermutigende Art stets zu Höchstleistungen zu motivieren. Durch Fragenstellungen brachte er seine Kollegen und auch mich dazu, Lösungen für schwierige Situationen selber zu finden.
Er war ein ganz besonderer Mensch, der trotz aller Hektik und Stress immer noch ein Lächeln auf den Lippen hatte und ein freundliches Wort. Ein Mensch, der einen Raum betritt und den man einfach respektiert. Eine unglaublich tolle Person.

Ein weiteres Vorbild ist meine Freundin Uta. Sie ist mein Sparringspartner geworden in vielen Fragestellungen. Uta ist auch eine sehr geradlinige Frau und immer ehrlich. Das kann manchmal auch verletzen, weil ich nicht das höre, was ich möchte, aber ich weiß, dass sie meistens Recht hat. Und zumindest entsteht eine Diskussion, die ein Thema von allen Seiten beleuchtet und woraus sich für Fragestellungen immer Lösungen ergeben. Sie bringt mich immer wieder dazu, mich selbst zu hinterfragen. Ich schätze ihre Ehrlichkeit und ihre kritische Betrachtung des Lebens. Ich umgebe mich genau aus diesen Gründen so gerne mit ihr. Sie redet niemandem nach dem Mund.

Wie gehst du mit Ängsten um? Und wie mit Krisen? Anders als vorher?

Von jeher habe ich Krisen bewältigt. Ich laufe immer weiter, bin aktiv und suche Wege aus der Krise. Dabei gehe ich auch ungewöhnliche Wege. Für mich steht immer im Vordergrund, mein Leben zu sichern. Dazu gehört auch, manches Mal Abstriche zu machen.

Bei meinen Ängsten ist schon schwieriger. Alles zu verlieren, ist eine meiner größten Ängste. Und Angst ist ein irrationaler Zustand. Da geht es mir wie der Maus vor der Schlange, ich stehe einfach nur da und kann gar nicht mehr reagieren. Das ist schlecht, denn dieser Zustand ist nicht kontrollierbar, wertvolle Zeit verstreicht und nichts Gutes kann entstehen.

Ich finde, jeder sollte seine Ängste kennen und sich schon in guten Zeiten mit Lösungsansätzen auseinandersetzen, das nimmt die Bewegungslosigkeit. Schließlich habe ich mich bereits im Vorfeld mit Eventualitäten auseinandergesetzt und damit diesen irrationalen Zustand beleuchtet, entschärft und kann pragmatisch handeln.

So habe ich bereits früher gehandelt, vor meiner Selbständigkeit und tue es auch heute noch. Allerdings ist mit einer Selbständigkeit alles aufwendiger. Ich muss mir ja immer klar sein, dass wenn ich nicht aktiv bin – in welche Richtung auch immer – ich keinen Umsatz mache und automatisch in eine Krise stürze. Dieser Gedanke muss immer präsent sein. Ich habe nicht die Möglichkeit, mich in meinen Krisenzeiten ins Bett zu legen und ein paar Tage krank zu sein.

Hat es sich gelohnt? Inwiefern?

Mein Leben, so wie es heute ist, lohnt sich in jedem Fall. Klar, ich habe weniger Geld als vorher. Die Verantwortung ist enorm geworden. Ich arbeite viel mehr als ich es früher getan habe.
Und ich bin mein eigener Herr. Mein Sohn kann auf mich zugreifen, wenn er mich braucht. Ich muss nicht mit einem Chef abstimmen, wenn ich einen Arzttermin habe. Mein Leben ist in manchen Situationen also auch freier geworden. Ich betrachte das als Luxus.

Und ich merke, dass ich mit dieser Verantwortung, den Anstrengungen und auch dem Stress und manchen Krisen einfach zufriedener bin.

Dein Rat an Zauderer?

Mir war immer wichtig, dass ich keine Maschinen etc. anschaffen muss, also im Notfall einfach den Laden schließe. Roman hat sich in eine Werkstattgemeinschaft eingemietet und damit haben wir auch hier wenig Risiko.

Ich finde, das Risiko muss kalkulierbar sein. Im Falle eines Falles muss es so zu bewältigen sein, dass ich noch leben kann.

Wenn ich mich frage, ob ich mich selbständig machen will, dann muss ich mir über einige Punkte klar sein. Ich arbeite mindestens doppelt so viel wie früher. Ich habe keine Kollegen, sondern ausschließlich Kunden (zumindest am Anfang, wachsen ist erlaubt) und wenn ich Angestellte habe, bin ich der Chef. Nicht irgendein Abteilungsleiter, sondern der Chef von allem. Und ich habe meistens weniger Geld als früher. Wir zahlen Gewerbesteuer, Umsatzsteuer und Einkommenssteuer. Wir versichern uns freiwillig oder privat, die Beiträge sind damit teurer. Es gibt keine gesetzliche Arbeitslosenversicherung mehr, von der Selbständigkeit kann es direkt zu Hartz IV gehen.

Und natürlich vergessen wir nicht das Konzept, was biete ich, wo biete ich, warum ist das überhaupt für meine Kunden interessant. Und wie komme ich an meine Kunden?

Wenn ich diese wenigen Faktoren betrachte, es sind ja noch einige mehr, und bereit bin, diese Verantwortung zu übernehmen, dann los.

Ich finde, es lohnt sich. Für mich war es die richtige Entscheidung, auch wenn es mal schwierig und anstrengend war / ist. Aber die Resonanz, die von meinen Kunden kommt, die macht die Anstrengung wieder wett. Und wie gesagt, ich fühle mich freier, weniger fremd gesteuert. Meine Arbeit ist anspruchsvoller geworden.

Ich habe eine Pro und Contra Liste gemacht und diese über einen Zeitraum von einer Woche immer wieder zur Hand genommen und gefüllt. Am Ende habe ich geschaut, was überwiegt. Ist es realistisch. Und ohne die Zustimmung von Roman wäre ich den Weg nicht gegangen.

Empfehlungen würde ich folgende geben:

  • Pro und Contra Liste machen
  • Existenzgründerseminar besuchen
  • Konzept entwickeln
  • Kosten aufstellen (privat und geschäftlich)
  • Anhand der Kosten Umsatzplanung machen
  • Familie einbeziehen
  • Kundenakquise schon vor Gründung beginnen
  • Steuerberater suchen
  • Anwalt suchen
  • Erzählt vielen von euren Plänen, das festigt die Entscheidung und macht euch sicherer in der Begründung für eure Arbeit
  • Sucht euch Kritiker, um diese mit Argumenten zu überzeugen.

Ich glaube, wenn diese Schritte berücksichtigt werden, steht am Ende die Entscheidung automatisch. Sie ergibt sich aus allem.

Liebe Manuela, danke für deine aufschlussreichen und offenen Antworten!

1 Kommentar zu „Sein eigenes Ding machen“

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